Jakobsweg - Camino Frances - 2010
Für meine Spontanität bin ich ja bekannt, doch in weniger als 3 Wochen aus dem Nichts heraus eine 120-km-Wanderung zu planen, war schon „die Härte“. Da meine liebe Freundin sich zum Herrentag mit ein paar Mädchen traf und ich somit Strohwitwer gewesen wäre, dachte ich mir, da könnte ich doch mal mich und meinen Körper an seine psychischen und physischen Grenzen bringen. Das Hörbuch von Hape Kerkeling „Ich bin dann mal weg“ hatte ich ja schon über Monate zuvor auf- und abgedudelt.
Es hat mich schon beeindruckt, was die Couchpotatoe da so vollbracht hat. Nun war mir klar, dass ich nicht den ganzen Weg gehen kann, die Zeit und Ruhe hätte ich nicht gehabt, solange kann ich meine Firma nicht alleine lassen. Ich informierte mich also online, was es für Möglichkeiten gibt. „Die letzten 100km auf dem Weg nach Santiago de Compostela“, das klang doch gut. In Wahrheit sind es 117km, das kommt dadurch, dass der Weg im Laufe der Zeit an einigen Stellen anders verläuft.
Also entschloss ich mich kurzerhand für dieses Angebot. Sicherlich könnte man jetzt denken, ich wäre ein Urkundenjäger oder man sagt „Pilger müssen in Pilgerherbergen schlafen“. Für mich wäre die Urkunde aber eher ein Beweis meiner Kraft. Und da ich überhaupt nicht wusste, wie die Wanderung auf mich wirkt, war ich echt froh über ein Hotelzimmer, denn ich möchte wirklich selbst entscheiden, wann, wie und wie lange ich schlafe. Ich möchte nicht durch Nachtpilger aufgeweckt werden oder durch Schnarcher vielleicht gar nicht in den Schlaf kommen. Mein iPhone hatte ich natürlich bei mir, doch sind alle Anrufe in Deutschland auf meinem AB gelandet. Firmenseitig war alles geregelt, es gab eine Vertretung und die konnte mich im Notfall per SMS erreichen. Zum Glück trat der Notfall aber nicht ein. Alles war bereit für den Camino de Santigo. Nur ich auch? Drei Tage vor Reisebeginn schwang ich mich auf mein Tourenrad und radelte einfach mal zu 2 Kunden. Nach ca. 10km war aber Schluss, nichts ging mehr. Wer sein Rad liebt, der schiebt. Doch ich merkte, dass die restlichen 4km zu Fuß mir entschieden besser bekommen sind. So konnte ich mir den Fußmarsch wenigstens schön reden und konnte nur mit halber Sorge starten.
In der Gruppe oder alleine:
Da es meine erste Tour war, stellte ich mir die Frage, schließe ich mich einer Gruppe an oder gehe ich alleine. Meine Freundin machte sich neben meiner Familie schon große Sorgen, ob ich eine derartige Strapaze alleine gut überstehe. Ich entschied mich also für eine Gruppenwanderung, diese war jedoch leider schon ausgebucht. Benebelt, wie ich von der Reise aber schon war, entschied ich mich kurzerhand für den alleinigen Trip. … und es war das Beste was ich machen konnte.
Die Buchung:
Also war es beschlossen. Gebucht habe ich über den Anbieter Pura Aktiv Reisen. Ich war wirklich mit allem sehr zufrieden. Die Buchung verlief problemlos, gestaltete sich natürlich wegen der kurzen Zeit bis zum Reiseantritt etwas hektisch. Ich möchte Pura Aktiv Reisen wirklich noch einmal ganz herzlich für schnelle und professionelle Buchung danken. Letztendlich werden auf dem Weg 7 Hotels gebucht. Den Flug habe ich mir dann selbst besorgt, da es langsam knapp wurde. Nun wurde es ernst.
Die Abreise/Ankunft:
Der Flug ging von Berlin Tegel, deshalb starte ich in den frühen Morgenstunden am 08.05.2010, dem Tag der Befreiung. Der Flug ging über Mallorca, wie unfair. Denn ich sah die Leute am Strand, die Boote im Wasser und fragte mich, was mich eigentlich dazu treibt, nicht hier zu bleiben und erst einmal ins Mittelmeer zu springen.
Nun gut, ich flog also weiter nach Santiago de Compostela, traf zwei nette Mädels, die den gleichen Trip geplant haben und wir fuhren dann ins 120km entfernte Sarria. Dort startete meine Tour. Schon jetzt stellten sich, vom viel zu schweren Rucksack leichte Rückenschmerzen ein, unwissend wie ich war dachte ich, dass die sich wohl bald geben werden.
Die Wanderung:
Ich fasse die 6 Tage der Wanderung und die 2 Tage in Santiago zusammen. Vielleicht gehe ich später auf die einzelnen Tage ein. Die Wanderung war einfach nur hart. Ich dachte durch die Wanderung, die Bescheidenheit der Menschen und die schöne Landschaft abzuschalten, mal nicht permanent an die Arbeit zu denken.
Letztendlich trat dies auch ein, doch der Grund war ein anderer. Der 15kg Rucksack war viel zu schwer, ich hatte zu viel mitgenommen. Entweder es drückte auf den Schultern oder auf der Hüfte. Die Schmerzen waren kaum noch auszuhalten. Ich hatte eine super Ausrüstung. Das Trekkinghaus Greifswald hat wirklich alles perfekt zusammengestellt. Doch ich hatte einfach zu viel Gepäck, was ich halt tragen musste. Die täglichen 20km waren nur zu schaffen, weil ich musste, ich musste zum nächsten Hotel, ich konnte nicht schon nach 10km aufhören, nein auch nicht nach 15km oder 16km, ich musste bis zu Ziel! Das erste Hotel hatte sogar einen Lift, der mich in die erste Etage hätte bringen können, aber ich habe echt die Treppe genommen, ich fühlte mich zu Fuß einfach sicherer. Als ich in den Sessel auf meinem Zimmer fiel, war ich nur noch erleichtert. 2min. später sah dies schon ganz anders aus, denn mein Körper ließ sich kaum noch bewegen. Die 2min. Ruhe ließen zwar die Schmerzen leicht verschwinden, doch ich konnte mich kaum noch zu einer Seite drehen. Zum Glück gab es hier eine herrliche Badewanne. Ich fing an, alles, was ich nicht brauchte wegzuschmeissen. Am Ende des ersten Tages waren es ein Deoroller, ich hatte aus Versehen zwei mitgenommen, alte Reiseunterlagen und und und. Am Ende des zweiten Tages war es dann schon das eigene Duschhandtuch, auf den Zimmern gab es ja eh immer Handtücher, am dritten Tag wickelte ich das Toilettenpapier soweit ab, dass nur noch ein bisschen zur Not übrig bleibt. Meine Spiegelreflexkamera mit zwei Objektiven, mein Stativ für „tolle“ Nachtaufnahmen, alles habe ich verflucht, mitgenommen zu haben.
Die Schmerzen hörten und hörten jedenfalls nicht auf. Ich bekam dadurch einen freien Kopf, schaltete vom Alltag komplett ab. Ich habe meinen Körper nicht nur an seine Grenzen gebracht, sondern sogar darüber hinweg. Und das war die Lösung. Es drehte sich von früh an nur darum anzukommen, das Ziel zu erreichen. Leider spielte das Wetter nicht mit und bescherte mir fast jeden Tag (Niesel)Regen. Als ich am vierten Tag üble Magenkrämpfe und Durchfall bekam, dachte ich schon daran aufzugeben. Ich hatte alle wichtigen Medikamente mit bei, natürlich nur das gegen Durchfall stand noch zu Hause. Gabi, eins der beiden Mädels, hatte zum Glück noch ein paar Kohletabletten und leichte Magentropfen. An dem Abend begriff ich auch, warum in der Hotellobby eine Reihe Wanderrucksäcke steht. Die meisten Pilger lassen diese für eine Gebühr von 3 Euro ins nächste Hotel fahren und pilgern selbst nur mit einem Tagesrucksack weiter. 4 Tage quälte ich mich mit 15kg zusätzlicher Last. Ich stand vor der Entscheidung aufzuhören, oder auch auf eine Wanderung mit „Tageslast“ umzusteigen. Ich entschied mich für letzteres und wanderte trotz furchtbarem Durchfall los. Auch dies war die richtige Entscheidung, denn ich habe den ganzen Weg geschafft, alle 120km, bis zum Ziel, bis zur Kathedrale von Santiago de Compostela. Dort blieb ich noch zwei Tage und zum Glück zeigte sich dann doch noch die Sonne.
Letztendlich waren es sogar noch einige Kilometer mehr, denn am vorletzten Tag war ich mit Gabi und Kathrin noch am Cap Finisterre, dem eigentlichen Ende des Jakobsweges, dem Ende der Welt. Der Bus fuhr uns nur in den Ort, von dort aus waren es bestimmt noch 5km Berg auf zum Cap und wieder 5km Berg ab. Als alte Seeratte war ich aber froh den Weg auf mich genommen zu haben, um noch einmal spanisches Wasser zu sehen.
Fazit:
Ich möchte diese Erfahrung nicht missen. Ich möchte die Reise auch gerne noch einmal wiederholen. Die Menschen, die Bescheidenheit, die Wege, Wälder und die Natur an sich sind einfach nur beeindruckend. Eine Steigung wird zu einer Herausforderung, ein Abstieg auch. Wo ich sonst mit dem Auto etwas mehr aufs Gas gehe, wird mir hier richtig körperliche Anstrengung abverlangt. Ca. alle 500m steht eine Wegmarkierung, zum Anfang des Tages kommen sie noch recht rasch, zum Ende eines Tages sehnte ich mich nach nichts mehr, als wieder 500m geschafft zu haben. 20km klingen hier im Norden nicht so schlimm, doch auf dem Jakobsweg sind sie für mich zu einer echten Herausforderung geworden.
Ich danke allen Freunden und meiner Familie für die Unterstützung. Ich danke auch den wenigen, die nie daran gedacht hätten, dass ich es schaffe, denn das gab mir noch einen extra Schub Willensstärke.
Nun noch ein paar Fotos: